Wird das Antragsformular durch einen Versicherungsagenten nach den Angaben des Versicherungsnehmers ausgefüllt, kann der Versicherer nach herrschender Meinung allein mit dem Inhalt des Formulars nicht den Beweis führen, dass der Versicherungsnehmer hinsichtlich seiner Vorerkrankungen falsche Angaben gemacht hat, sofern dieser substantiiert behauptet, den Agenten mündlich über Vorerkrankungen, ärztliche Untersuchungen oder Behandlungen unterrichtet zu haben (BGH, VersR 2011, 337; VersR 2008, 765; BGHZ 107, 322 = VersR 1989, 833).
Problematisch: Mündliche Angaben im Antragsformular
In derartigen Fällen muss der Versicherer darlegen und beweisen, dass der Agent dem Versicherungsnehmer die Fragen durch Vorlesen und gegebenenfalls mit Erläuterungen derart nahegebracht hat, dass der Versicherungsnehmer die Antragsfragen eigenverantwortlich beantworten kann. Maßgeblich für die Frage, ob der Versicherungsnehmer falsche Angaben gemacht hat, sind in einem solchen Fall allein die Angaben, die er gegenüber dem Agenten mündlich gemacht hat (Vgl. Prölls/Martin VVG 30. Aufl. § 19 VVG, Rdnr. 52 ff.). Dies ist auch für die Beurteilung eines Vorwurfs der arglistigen Täuschung seitens des Versicherungsnehmers von besonderer Bedeutung.
Der BGH hat sich in einem Beschluss vom 05.07.2017 (VersR 2018, 85) mit den Anforderungen an den Versicherungsagenten bei einer sachgemäßen Antragsaufnahme nach mündlicher Information des Versicherungsnehmers, insbesondere über die Gesundheitsfragen beschäftigt. Der Versicherungsnehmer behauptete, er habe bei der Antragsaufnahme zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung gegenüber dem Versicherungsvertreter erklärt, er sei wegen Rückenschmerzen in Behandlung gewesen, allerdings sei bei den Untersuchungen nichts herausgekommen, die Ärzte hätten ihn wie einen Simulanten behandelt. Gleichwohl hat der Versicherungsvertreter die Frage nach Arztbesuchen im Versicherungsantrag verneint.
Der BGH betont, es sei nicht Aufgabe des künftigen Versicherungsnehmers einen Versicherungsvertreter hinsichtlich der Frage zu kontrollieren, was in das Antragsformular aufzunehmen ist. Mit der Vorgabe von Fragen nach gefahrerheblichen Umständen im Antragsformular habe der Versicherer selbst die Anzeigeobliegenheit so ausgestaltet, dass der künftige Versicherungsnehmer die Gefahrumstände anhand der ihm gestellten Fragen zu beantworten hat. Unterläuft der Agent dadurch, dass er dem Antragsteller durch einschränkende Bemerkungen verdeckt, was auf die jeweilige Frage anzugeben und in das Formular aufzunehmen ist, könne dieses Agentenverhalten nicht zu Lasten des künftigen Versicherungsnehmers gehen (BGH, VersR 2001, 1541). Angesichts des vom Versicherungsnehmer gegebenen Hinweises auf Rückenschmerzen und in Folge dessen stattgefundener Arztbesuche bedürfe es einer plausiblen Erklärung, weshalb der Agent im Antragsformular jegliche Beschwerden und Arztbesuche verneinte.
Widersprüchliche Aussagen bei Gesundheitsfragen
Die Bemerkung des Versicherungsnehmers, er sei von den Ärzten als Simulant hingestellt worden, vermöge das Leugnen jeglicher Arztbesuche nicht zu erklären. Der mit dem Abschluss der Versicherungsverträgen vertraute Agent habe wissen müssen, dass vom Versicherungsnehmer genannte Arztbesuche, nach denen in den Antragsformularen gesondert gefragt wird, unabhängig von der Schwere einer Erkrankung anzugeben waren. Dies gelte auch für Rückenbeschwerden, da es sich hierbei regelmäßig um einen für die zu versicherte Gefahr erheblichen Umstand handele.
Vor diesem Hintergrund habe der Versicherungsvertreter die Beschwerden des Versicherungsnehmers nicht zwingend als Bagatellisierung verstehen müssen, sondern auch dahingehend verstehen können, dass der Versicherungsnehmer seine Rückenbeschwerden ernster nahm, als der behandelnde Arzt. Vor allem die Äußerung des Versicherungsvertreters, er würde nichts mehr versichern, wenn er Angaben wie die des Versicherungsnehmers in jedem Fall in die Anträge aufnehme, hätte Anlass zur Erörterung gegeben, ob auch der Vertreter die Risikorelevanz der Informationen des Versicherungsnehmers erkannt und ihre Weitergabe an den Versicherer nur im eigenen Interesse an einem Vertragsschluss, nicht jedoch in Folge eines Irrtums über die Intensität über die Rückenbeschwerden des Versicherungsnehmers unterband, was ohnehin eine völlige Leugnung der gesondert nachgefragten Arztbesuche nicht plausibel erkläre. Der BGH hat deshalb eine arglistige Täuschung seitens des Versicherungsnehmers verneint und den Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil des BGH zum Sachverhalt
Die Entscheidung des BGH vom 05.07.2017 (aaO) ist insbesondere im Hinblick auf das Verhalten des den Versicherungsantrag aufnehmenden Versicherungsvertreters gegenüber dem Versicherungsnehmer interessant. Wichtig ist nicht nur, dass der Versicherungsvertreter dem Versicherungsnehmer die Antragsfragen sachgerecht nahe zu bringen hat. Vielmehr hat der Versicherungsvertreter auch Sorge dafür zu tragen, dass die Antworten des Versicherungsnehmers auf die Antragsfragen richtig und vollständig in den Versicherungsantrag aufgenommen werden. Hierbei darf der Versicherungsagent nicht eigenmächtig Antworten des Versicherungsnehmers nach seiner Ansicht interpretieren und auslegen. Der Versicherungsagent hat sich zunächst an den Angaben des Versicherungsnehmers wertungsfrei zu orientieren. Bei ersichtlich unvollständigen Angaben hat er beim Versicherungsnehmer nachzufragen. Angaben des Versicherungsnehmers im Hinblick auf die bloße Möglichkeit einer Anzeigepflichtverletzung braucht der Versicherungsvertreter nach herrschender Meinung hierbei jedoch nicht überprüfen (Prölss/Martin, VVG, 30. Auflage, § 19 VVG, Rn. 94).
Anders hat diesbezüglich jedoch das OLG Saarbrücken (VersR 1993, 341) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 25.3.1992, AZ IV ZR 55/91, VersR 1992, 603) entschieden. Eine Rückfragepflicht des Versicherers besteht danach bereits dann, wenn die seitens des Versicherungsnehmers auf die gestellten Gesundheitsfragen gegebenen Antworten dem Versicherer vor Augen führen, daß der Antragsteller seiner Anzeigeobliegenheit noch nicht genügt hat. Welche Umstände genau fehlen, braucht der Versicherer nicht zu wissen. Für die Rückfragepflicht des Versicherers oder seines Versicherungsvertreters genügt die anhand der Risikoprüfungsgrundsätze des Versicherers festgestellte Unvollständigkeit der Antworten des Versicherungsnehmers und eine damit verbundene Möglichkeit eine Anzeigepflichtverletzung. Hat der Versicherer gegen seine Rückfragepflicht verstoßen, ist es ihm verwehrt, ein Rücktritts- oder Arglistanfechtungsrecht aus solchen Tatsachen herzuleiten, die er vor Vertragsschluß aufgrund einer gebotenen Rückfrage hätte erfahren können.